
Wohlfühlküche – mehr als nur satt sein
14. Mai 2025Warum ist es denn keine Lösung?
Es gibt Tage, da wiegt nicht der Körper schwer, sondern das, was im Kopf passiert. Und manchmal dauert es Jahre, bis man versteht, dass all die Wut, die Verzweiflung und der stille Frust über sich selbst nicht das Geringste verändern – sondern nur noch mehr lähmen. Ich habe lange geglaubt, mich selbst kleinhalten zu müssen, um irgendwann groß rauszukommen. Doch dieser Gedanke war ein Trugschluss.
Heute begreife ich langsam, was Body Positivity auf meiner ganz persönlichen Ebene bedeutet. Es heißt nicht, jeden Zentimeter meines Körpers zu lieben oder mir ständig einzureden, dass alles gut ist. Vielmehr geht es darum, mich anzunehmen, wie ich gerade bin – mit all meinen Brüchen, Fehlern und vermeintlichen Schwächen. Denn erst in dieser Annahme entsteht überhaupt die Möglichkeit, Frieden mit mir selbst zu schließen.

Der Selbsthass hat mich nie weitergebracht. Er hat mich nicht motiviert, sondern ausgelaugt. Ich habe angefangen, mich mit der Situation, in der ich stecke, zu versöhnen – nicht, weil ich dort verharren will, sondern weil ich verstanden habe, dass Veränderung nicht aus Ablehnung wächst, sondern aus Mitgefühl. Mit mir selbst. Mit meiner Geschichte. Mit meinem Körper, der mich bis hierher getragen hat.
Natürlich ist es schmerzhaft, wenn man wieder scheitert – oder besser gesagt: wenn man es als Scheitern empfindet. Wenn man zum x-ten Mal neu beginnt, voller Hoffnung, und es dann doch nicht durchzieht. Und schlimmer noch: Wenn dieses Gefühl sichtbar ist. Denn ich trage meinen Misserfolg nach außen. Jeder kann sehen, dass ich es wieder nicht geschafft habe. Dass ich immer noch dick bin, obwohl ich es doch so sehr will. Obwohl ich kämpfe. Und obwohl es für andere so einfach aussieht: „Du musst doch nur weniger essen.“
Aber was viele nicht verstehen – Essen ist für mich mehr als Hunger stillen. Es ist Strategie, Trost, Belohnung, manchmal auch das Einzige, was mich für einen Moment atmen lässt. Dieses Verhalten hat sich tief eingebrannt. Und wenn ich dann doch wieder zu viel gegessen habe, spüre ich diesen inneren Schlag – diese Mischung aus Scham, Ärger und Resignation. Und trotzdem stehe ich wieder auf. Immer wieder. Weil ich nach Wegen suche, die zu mir passen, weil ich verstanden habe, dass sich Strategien ändern müssen, wenn sich das Leben verändert.
Um es greifbar zu machen: Vor meiner stationären Behandlung wegen meiner Depression wog ich 120 Kilo. Bei 1,78 Meter Körpergröße war das ein Zustand, den ich akzeptieren konnte. Ich konnte mich kleiden, kaschieren, mich in der Öffentlichkeit einigermaßen wohlfühlen. Ich sagte damals: Lieber 150 Kilo auf der Waage, als wieder in dieser dunklen Leere gefangen zu sein. Und doch stehe ich heute bei fast 140 Kilo. Ich hatte nicht damit gerechnet. Ich dachte, ich bin stark genug – wenn schon nicht für die Depression, dann wenigstens gegen die Gewichtszunahme. Dass beides gleichzeitig so schwer wiegen würde, hat mich überrollt.
Und trotzdem fühlt es sich nicht so schlimm an wie befürchtet. Klar, ich merke, dass ich mich weniger bewege. Dass mein Körper träger ist. Dass manches schwerfälliger wird. Aber was noch schwerer wiegt, ist der Gedanke, ständig zu versagen. Und genau deshalb brauche ich das Essen noch – als letzten Halt, als kleine Erleichterung. Ich weiß, wie schambehaftet das ist. Aber ich kann nicht mehr so tun, als wäre es anders.
Ich wünsche mir, dass mehr Menschen begreifen: Ich esse nicht aus Lust, sondern aus einem inneren Bedürfnis heraus. Mein Kopf verlangt nach Beruhigung, nach Dopamin, nach etwas, das funktioniert. Und wenn ich mich dafür auch noch hasse – für das, was mein Körper zeigt und das, was mein Kopf verlangt – was bleibt dann noch? Eine leere Hülle. Eine müde, ausgelaugte Hülle, die morgens nicht aus dem Bett kommt, keine Witze macht, keine Energie hat, um zu funktionieren. Und das will ich nicht mehr sein.
Deshalb sage ich heute: Es ist okay. Es ist okay, dass ich wieder bei 140 Kilo bin. Denn ich habe erkannt, dass ich mich gerade auf dem Weg befinde, den ich wirklich gehen will. Ich arbeite an mir – nicht nur am Körper, sondern am Ursprung. Und ich glaube: Wenn mein Verhältnis zum Essen heil wird, wird auch mein Körper nachziehen. Die Abnahme wird kommen, wenn ich wieder frei atmen kann. Wenn ich den Kopf heben kann, ohne Scham. Und auf diesen Moment freue ich mich.
Denn ich liebe Bewegung. Ich liebe gutes, gesundes Essen. Ich hasse es, mich zu überessen und mit Bauchschmerzen durch den Tag zu schleppen. Ich weiß, dass das Leben leichter sein kann – und dass ich dafür nicht perfekt sein muss. Ich muss nicht hart zu mir sein, nicht streng, nicht abwertend. Ich muss nur ehrlich mit mir sein. Und bereit, jeden Tag ein kleines bisschen mehr auf mich zu hören.
Denn ich bin gut genug. Jetzt. Genau so.
Ich werde jetzt Bilder posten, die ich früher sofort gelöscht hätte.
Solche, auf denen ich lache wie ein Honk, meine Haare in alle Richtungen fliegen
oder mein Körper sich von einer Seite zeigt, die angeblich nicht „vorteilhaft“ ist.
Aber weißt du was?
In genau diesen Momenten war ich glücklich.
Und warum zur Hölle sollte ich mich für Glück schämen, nur weil das Bild nicht perfekt ist?
Weil mein Gesicht nicht gefiltert ist, mein Blick nicht geplant war oder der Winkel nicht schmeichelt?
Was ist, wenn wir einfach so sind, wie wir sind –
statt Bilder zu löschen, in den Momenten, in denen wir glücklich waren?
Ich muss mich nicht immer von meiner schönsten Seite zeigen.
Denn das Leben ist nicht immer schön.
Aber es ist ehrlich. Und ich bin es auch.
Und genau das reicht.
